Mutige Wirtschaftsmanager gesucht

USA vs. Deutschland

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Guten Morgen

wenn man die langen Linien der Wirtschaftsentwicklung in den USA und der Bundesrepublik vergleicht, dann fällt dieser Vergleich für unser Land wenig schmeichelhaft aus. Die Deutschen sind genauso fleißig und in der Masse sogar besser gebildet. Doch das Armaturenbrett der Volkswirtschaft zeigt: Deutschland bringt seine PS nicht auf die Straße.

1. Der Aktienmarkt in New York hat sich vom Börsengeschehen am Finanzplatz Frankfurt entkoppelt: Während der Nasdaq-100 seit seinem Start im Oktober 1985 bis heute rund 12.720 Prozent zulegen konnte, erreicht der Dax im gleichen Zeitraum gerade einmal ein Plus von rund 1.176 Prozent.

Eine Infografik mit dem Titel: Börse: Amerika zieht davon

Kursverlauf des Nasdaq-100 und des DAX seit 1985, indexiert in Prozent

2. Die Gewinne der Unternehmen in den USA fallen deutlich höher aus als hierzulande. Von den zehn Unternehmen der Fortune 500 Liste mit den größten Gewinnzahlen kamen 2020 sechs aus den Vereinigten Staaten. Das erste deutsche Unternehmen – Volkswagen – erreicht nur Platz 24.

3. Die Genehmigungszeiten für Investitionen sind in den USA deutlich schneller: Eine Firmengründung beispielsweise dauert laut der Weltbank in Deutschland durchschnittlich acht Tage. In den USA sind es nur vier.

4. Die Durchschnittsgehälter in den USA liegen bei 55.522 US-Dollar und damit rund zehn Prozent über dem durchschnittlichen deutschen Gehalt.

Eine Infografik mit dem Titel: Amerika zahlt besser

Durchschnittliche jährliche Reallöhne in Deutschland und den Vereinigten Staaten von 2000 bis 2020, in US-Dollar

5. Und auch beim Pro-Kopf-Geldvermögen stechen die USA mit 218.469 Euro gegenüber Deutschland mit 61.760 Euro deutlich hervor.

Eine Infografik mit dem Titel: Deutschland: das Schlusslicht

Pro-Kopf-Geldvermögen in den G7-Ländern im Jahr 2020, in Euro

Einer der Gründe für diese ungleiche Entwicklung, die sich ständig beschleunigt, könnte das Fehlen von ökonomischer Kompetenz in der deutschen Politik sein; wobei es in Berlin schon als unschicklich gilt, diesen Sachverhalt so direkt zu thematisieren.

Doch Vorsicht Klischee: Nicht nur die politischen Parteien haben sich hermetisch gegen erfolgreiche Unternehmer und Wirtschaftsmanager abgeschirmt. Auch die Männer und Frauen der Wirtschaft meiden das Risiko einer politischen Karriere. Daraus ergibt sich das, was man eine „lose-lose situation” für unser Land nennen könnte. Es wird viel geklagt und wenig bewegt.

Ausgerechnet in Europas größter Volkswirtschaft bevölkern Verwaltungsjuristen, Lehrer und Bummelstudenten die politischen Schaltzentralen. Die Börse gilt vielen als das Reich des Bösen und die Bilanz einer Firma ist für die meisten eine Terra Incognita.

Eine Infografik mit dem Titel: Amerika vorn

Quote der Aktiensparer in Deutschland im Vergleich zu den USA 2021, in Prozent

An den Prozessen der privaten Wohlstandserzeugung hat die Mehrzahl der Bundestagsabgeordneten zuletzt während eines Schülerpraktikums teilgenommen. Sie sind Experten fürs Versprechen und Verteilen. Ihre Kirche heißt Sozialstaat. Unter dem Banner der „sozialen Gerechtigkeit“ treiben sie bei den Bürgern ihre Kollekte ein. Tagsüber lesen sie die Meinungsumfragen, als seien es Heilige Schriften.

Die jüngere Geschichte der USA dagegen ist eine intensive Beziehungsgeschichte zwischen Politik und Wirtschaft. Es findet ein permanenter Energiefluss statt, eine ständige Infusion von Erfahrung und Wissen aus dem Maschinenraum der Wohlstandsproduktion.

  • Während im aktuellen Bundestag mit insgesamt 735 Sitzen gerade einmal 51 Unternehmer und Unternehmerinnen vertreten sind, sitzen im US-Kongress von 541 Volksvertretern (Senat + Repräsentantenhaus) 320 Personen, die direkt aus der Wirtschaft stammen.

Hank Paulson © Imago

  • Der Posten des US-Wirtschaftsministers und des US-Finanzministers wird in aller Regel nicht mit Parteisoldaten, sondern mit erfolgreichen Wirtschaftsbossen besetzt. Unter George W. Bush diente der Ex-CEO des Konzerns Halliburton Dick Cheney als Vizepräsident und der Ex-CEO von Kelloggs Carlos Gutierrez als Wirtschaftsminister; Finanzminister war der Ex-CEO von Goldman Sachs Hank Paulson.

  • Obama berief den Ökonomieprofessor Larry Summers zum Wirtschaftsberater und den ehemaligen Chef von Procter & Gamble Bob McDonald zum Kriegsveteranenminister. Im Kabinett von Joe Biden ist mit Janet Yellen eine Ökonomieprofessorin im Amt.

Janet Yellen © imago

  • Auch bei den Bewerbern um die Präsidentschaft war der Immobilienunternehmer Donald Trump nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Der Gründungspartner der Private-Equity-Gesellschaft Bain Capital Mitt Romney, der Medienmogul Michael Bloomberg, der ehemalige Vorstandsvorsitzende von EDS Ross Perot und auch die ehemalige Hewlett-Packard-Chefin Carly Fiorina gehören in diese Reihe. Sie konnten die Parteibasis nicht überzeugen, aber sie veränderten den Diskurs.

  • Immer wieder entfalten sich schon im vorpolitischen Raum ökonomisch versierte Persönlichkeiten wie Peter Thiel, der den Risikokapitalfonds Valar Ventures und gemeinsam mit Max Levchin den Bezahldienst Paypal gegründet hat. Mit seinem Geld und seinem Netzwerk unterstützt er eine konservative Agenda, die in die republikanische Partei hinein wirkt.

Peter Thiel auf der Republican National Convention in Cleveland, Ohio (2016) © dpa/ Shawn Thew

  • Auch im linken Spektrum sind Kenner des Wirtschafts- und Finanzwesens unterwegs. Clintons erster Finanzminister Lloyd Bentsen war Präsident der Finanzholding Lincoln Consolidated. Danach folgte mit Robert Rubin ein Investmentbanker, der bereits seit 1966 bei Goldman Sachs in leitender Verantwortung tätig war. Auch Clintons dritter Handelsminister kam aus der Finanzbranche: William Daley war als Präsident und COO der Amalgamated Bank of Chicago tätig, bevor der Ruf ins Kabinett erfolgte.

Robert Rubin © Imago

Fazit: Freiwillig wird sich die deutsche Parteipolitik niemals der Wirtschaft öffnen. Die politische Elite liebt ihr Leben außerhalb der produktiven Zone. Nur in den Feuchtgebieten jenseits von Angebot und Nachfrage können ihre Postenplantagen gedeihen und die Setzlinge der Drucksachenkultur dem Himmel entgegen sprießen.

Die Wirtschaft muss sich also selbst einmischen, wenn sie die Verhältnisse nicht nur beklagen, sondern verändern will. Der Vorteil einer jeden Einmischung liegt auf der Hand: Für die Startinvestition braucht man weder eine Aufsichtsrats-Mehrheit noch eine Investmentbank, sondern politische Leidenschaft und eine Extraportion Mut. Allerdings: auch den Mut, zu scheitern.

Die Tatsache, dass unsere Politiker die Wirtschaftsführer oft zu entmutigen versuchen, indem sie auf die gänzlich anderen Bedingungen im politischen Betrieb hinweisen, sollte eher als Ermutigung verstanden werden. Der legendäre Herausgeber des Economist Walter Bagehot wusste warum:

Das größte Vergnügen im Leben besteht darin, das zu tun, von dem die Leute sagen, du könntest es nicht.

 © SMB

Hans-Werner Sinn © dpa

Prof. Hans-Werner Sinn ist kein Ökonom, sondern eine Institution. In seinen langen Jahren als Präsident des ifo-Instituts in München hat er sich den Ruf eines unabhängigen und zugleich unbequemen Wissenschaftlers erworben. Da er noch dazu das Talent der Rede beherrscht, verkaufen sich auch seine Bücher. Sinn ist ein Mann der Zahlen und der Worte, was in dieser Kombination Seltenheitswert besitzt.

Sein jüngstes Werk heißt: „Die wundersame Geldvermehrung: Staatsverschuldung, Negativzinsen, Inflation”. Seit er das Manuskript des Buches im Herbst vergangenen Jahres beim Verlag einreichte, hat das Thema an Fahrt gewonnen. Die Geldentwertung, die in Europa lange Jahre unter zwei Prozent verharrt hatte, schoss über die Fünf-Prozent-Marke und erreichte bei etlichen Preisen, zum Beispiel denen für Energie oder industriellen Grunderzeugnissen, deutlich zweistellige Raten. Über das, was ist und das, was kommt, spreche ich mit ihm heute im Morning Briefing Podcast.

Den Treiber für die aktuelle Inflationsentwicklung sieht der Experte in den weltweiten Lieferengpässen für Vorprodukte aller Art:

Die Firmen des verarbeitenden Gewerbe beklagen zu zwei Dritteln – im Herbst lag die Spitze sogar bei 80 Prozent – dass sie nicht genug Material bekommen. Eine ähnliche Situation haben wir in der Vergangenheit noch nie gesehen.

Die Folge:

Die gewerblichen Erzeugerpreise, das heißt die Preise für Zwischenprodukte, sind um sage und schreibe 24 Prozent binnen Jahresfrist gestiegen. Das ist der höchste Wert seit Beginn der Aufzeichnung.

Hans-Werner Sinn © Imago

Die Folgen für den weiteren Fortgang der Preisentwicklung seien gravierend und würden von nahezu allen Experten, auch denen der EZB, unterschätzt:

Dieser Anstieg der Erzeugerpreise hat sich noch gar nicht in die Konsumentenpreise übertragen. Das bedeutet: Da ist noch was in der Pipeline.

Nach der Pandemie drohe eine Lohn-Preis-Spirale, sobald die Löhne an die Geldentwertung angepasst würden, wie die Erfahrung mit dem kämpferischen ÖTV-Chef Heinz Kluncker in den 70er-Jahren zeigten:

Kluncker hatte 15 Prozent plus gefordert und elf Prozent bekommen. Das war eine astronomische Zahl, die dann die neue Inflation wieder angefeuert hat. Wir können davon ausgehen, dass sich dieser Effekt im Laufe dieses Jahres bemerkbar machen wird und die Inflation von 2023 hochtreibt.

Hans-Werner Sinn © dpa

Einen Ausweg könne nur die EZB weisen:

Es ist die Aufgabe der Notenbank – so steht es im Maastrichter Vertrag – für Preisstabilität zu sorgen. Andere Aufgaben sind absolut sekundär. Die EZB muss also handeln.

Fazit: Wenn Sie heute nur ein Interview hören oder lesen, dann dieses. Sie bekommen eine Ahnung dessen, was da in der Pipline steckt. Oder um es mit Heinrich Heine zu sagen:

Es gibt nichts Stilleres als eine geladene Kanone.

Klick aufs Bild führt zum Pocast.

Steinmeiers Bilanz

Am Sonntag steht die Wiederwahl des Bundespräsidenten an - eine Chronik der ersten Jahre in Zahlen.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Lauterbach und Dittmar © dpa

Gesundheitsminister Karl Lauterbach war deutlich früher von der Änderung des Genesenenstatus informiert als von ihm behauptet.

Ein Video-Protokoll der Bundestagssitzung vom 13. Januar belegt, dass die Änderung im Ministerium nicht nur bekannt, sondern auch gut geheißen wurde. Bei fraglicher Sitzung – geleitet von FDP-Bundestagsvize Wolfgang Kubicki – informierte die parlamentarische Staatssekretärin, Ärztin und Genossin Sabine Dittmar die Abgeordneten darüber, dass auf den Internetseiten des RKI sich der veränderte Genesenenstatus befindet. Sie sagt:

Der Genesenenstatus wird künftig nach drei Monaten beziehungsweise 90 Tagen entfallen.

Sie spricht von notwendigen Änderungen, die den Stand der Wissenschaft abbilden. „Dass der Genesenenstatus jenseits der Quarantäneregeln quasi über Nacht auf drei Monate verkürzt wurde – davon war ich nicht unterrichtet“, sagt Lauterbach später im Gespräch mit der FAZ am 27. Januar. Auch am 14.1. während einer Sitzung des Bundesrates verzichtete Lauterbach, wissentlich oder unwissentlich, auf die Unterrichtung der Ministerpräsidenten.

Fakt ist: Die Führungskräfte seines Hauses waren im Bilde. Es gab keinerlei Versäumnisse des RKI. Oder um es mit US-Präsident Eisenhower zu sagen:

Die Jagd nach dem Sündenbock ist die einfachste.

Macron trifft Putin © Imago

Der russische Aufmarsch an der ukrainischen Grenze entwickelt sich für Olaf Scholz immer mehr zu einem außenpolitischen Stolperstart. Das liegt auch an den Hyperaktivitäten seiner westlichen Partner:

Joe Biden („Im Fall einer russischen Invasion der Ukraine wird es kein Nord Stream 2 mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen.”) lieferte mit seiner schnörkellosen Haltung zu Nord Stream 2 den Gegenentwurf zur deutschen Unentschlossenheit. Nikolas Busse in der FAZ kommentiert:

Biden lässt keinen Zweifel daran, dass Washington die Leitung schließen würde – so als sei Deutschland in der Sache nur ein Subunternehmer.

Olaf Scholz © Imago

Emmanuel Macron führt Scholz derweil in Moskau vor. Er war schneller bei Putin. Und: Nach seinem sechsstündigen Gespräch mit dem russischen Machthaber teilte der französische Präsident sichtlich stolz mit, dass sich Putin bereit erklärt habe, keine neuen militärischen Initiativen in der Region zu ergreifen. Zudem stimmte er zu, Tausende russischer Truppen nach Abschluss der geplanten Übungen aus Weißrussland abzuziehen.

Fazit: In der Außenpolitik hat es Olaf Scholz mit erfahrenen Profispielern zu tun. Er muß sich beeilen. Derweil der neue Kanzler noch mit Aufwärmübungen am Spielfeldrand beschäftigt ist, schießen Biden, Macron und Putin die ersten Tore.

Was tut Deutschland für die Ukraine?

5000 Helme - und was noch? Wie Deutschland der Ukraine im Konflikt mit Russland hilft.

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Veröffentlicht von Marina Kormbaki .

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Bored Ape mit Krone © Bored Ape Yacht Club

Der exklusivste Club der Welt befindet sich nicht in Berlin, London oder New York, sondern im Metaverse: Wer den „Bored Ape Yacht Club“ – also den Club gelangweilter Affen – digital betreten will, braucht eines von 10.000 gleichnamigen NFTs. Kostenpunkt: 300.000 Dollar.

Diese NFTs basieren auf der Ethereum-Blockchain und zeigen – wie der Name schon sagt – einen gelangweilten Affen. Jeder ist einzigartig, ausgestattet mit Sonnenbrille, Hawaii-Hemd oder cooler Frisur. NFT steht für „non-fungible-token“, das sind nicht-austauschbare digitale Objekte. Anders als bei etwa einem Bitcoin kann es von einem NFT nur ein Exemplar geben. Damit bekommen digitale Bilder einen Seltenheitswert, ähnlich wie ein gemaltes Ölbild oder eine Plastik aus Holz.

Bored Ape mit Überbiss © Bored Ape Yacht Club

Sobald sie erstellt und verkauft wurden, können die NFTs in Kryptowährung gehandelt werden. Mit etwas Glück ist man früh dabei: Ein „Bored Ape“ kostete beim ersten Verkauf der Künstler nur 0,08 Ethereum oder nach heutigem Kurs 245 Dollar. Seitdem kletterte der Preis um astronomische 122.000 Prozent in die Höhe.

Man kann das ganze Wahnsinn nennen – oder ein Geschäft. Für alle Mitspieler ist das Affengeld das neue Gold; der Klondike-River fließt heute im Netz.

Bored Ape mit Weste  © Bored Ape Yacht Club

Peter Sloterdijk: "Es gibt keine private Immunität"

Der Philosoph Peter Sloterdijk über Gefahren für die Demokratie und die aktuelle Impfpflicht-Debatte

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Veröffentlicht in The Pioneer Briefing Business Class Edition von Gabor Steingart.

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4900 Farben (901A) von Gerhard RIchter © Imago

Gerhard Richter ist nicht als Gerhard Richter gestartet. Der aus Dresden stammende Künstler – den der britische Guardian später dann als „Picasso des 21. Jahrhunderts” feierte – hat ein Leben gelebt, das zunächst durch Schicksalsschläge und nicht durch Laudationes gekennzeichnet war.

Schon in der Schule lief es nicht gut für den damals 16-jährigen Gerhard aus der Oberlausitz. 1948 beendete er die höhere Handelsschule mit der Mittleren Reife und begann eine Ausbildung zum Bühnen- und Werbemaler. Sein Aufnahmeantrag für die Hochschule für Bildende Künste in Dresden wurde zunächst abgelehnt.

Domplatz Mailand © Gerhard Richter/dpa

Noch rechtzeitig vor dem Mauerbau konnte er im Februar 1961 aus der DDR flüchten, obwohl man dort begonnen hatte, seine Talente zu schätzen – und auch zu nutzen. Im Staatsauftrag fertigte er das Bild „Arbeiterkampf”. Einen Teil seiner Werke aus jenen frühen DDR-Tagen hat er rechtzeitig vor der Flucht vernichtet, was die Spurensuche erschwert.

Die Grausamkeiten des Dritten Reiches haben Richters Biografie nicht geprägt, aber doch schmerzhaft berührt. Seine Tante Marianne Schönfelder wurde kurz vor Kriegsende im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasie-Programms ermordet. Sein erster Schwiegervater Heinrich Eufinger wiederum gehörte als SS-Obersturmbannführer und Verantwortlicher für die Zwangssterilisationen in Dresden zu den Tätern. Richter, der in seinem Spätwerk die zeitgenössischen Stoffe mied, hat diesem Thema mehrere Kunstwerke gewidmet. Sein Gemälde Tante Marianne, das im Jahr 1965 entstand, gab den Opfern der Euthanasie ein Gesicht.

Tante Marianne © Gerhard Richter/dpa

Erst dem mittlerweile 60-jährigen Richter wurde international die große und dann auch hymnische Aufmerksamkeit zuteil. 2002 feierte ihn das New Yorker Museum of Modern Art anlässlich seines 70. Geburtstags mit einer Retrospektive. Mit 188 Exponaten ist es die größte Ausstellung, die dieses Museum jemals einem lebenden Künstler gewidmet hat.

Im Alter von 88 Jahren beschloss Gerhard Richter den Pinsel für immer zur Seite zu legen. Sein Werk sei abgeschlossen, ließ er die Menschheit wissen.

Das Malen hatte er einst als Gottsuche beschrieben. Über Malerei zu reden, sagt er, mache keinen Sinn. Sprache verändere Kunst, konstruiere sie neu und unterschlage jene Eigenschaften, die nicht ausgesprochen werden können:

Diese sind aber immer die wichtigsten.

Gerhard Richter © Imago

Heute feiert Gerhard Richter seinen 90. Geburtstag. Wir verneigen uns vor diesem Gesamtkunstwerk.

Ich wünsche ihm und Ihnen einen unbekümmerten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste,

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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